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Das teuerste Ei meines Lebens

Mein teuerstes Ei entsprang einer Leidenschaft, allerdings nicht einer Leidenschaft zu Pretiosen, wie es naheliegen würde, also kein edelsteinbesetztes Goldei von Fabergé, sondern der Leidenschaft zum kulinarischen Genuß. Einmal in meinem Leben wollte ich die klassische französische Kochkunst in Vollendung erleben, nicht die kreative Kunst eines Pierre Gagnaire und schon gar nicht die Teller- Kopien von Kochunternehmer wie Ducasse oder Robuchon. Nein, es sollte eine Kunst sein, welche sich an Escoffier orientiert, dem eigentlichen Begründer der Gourmandise. Ich war anspruchsvoll, eben den Parisern entsprechend. Kundige französische Freunde empfahlen mir das Pariser L’Ambroisie, wo der Patron Bernard Pacaud täglich selber am Herd steht. An einem Herbsttag spazierten meine Frau und ich über den Place de Vosges, in deutschen Reiseführern als der schönste Platz von Paris gepriesen. Allerdings ist in Paris Vorsicht beim Umgang mit Superlativen geboten, zu schnell nutzen sie sich in dieser ungemein vielfältigen Stadt ab. Hätte der frühere bauwütige Premierminister Pompidou sich durchgesetzt, würde jetzt nicht ein mildes Sonnenlicht das geschlossene Ensemble von palaisartigen Häusern bescheinen, allesamt stolze 400 Jahre alt, sondern sich kalter Schatten zwischen Hochhausschluchten ausbreiten. Glücklicherweise scheiterten in Frankreich manchmal sogar die höchsten Potentaten an der Kultur und so residiert in einem dieser Palais nach wie vor eines der nobelsten Pariser Restaurants, das L‘Ambroisie. Kaum hatte ich den Griff der gläsernen Eingangstür berührt, schon stürzten drei Kellner zur Tür, um zu verhindern, daß ich diese selber öffnen muß. Im gleichen Moment trat auch die Patronin, Frau Pacaud, aus einen dunklen Seitengang heraus, um uns galant zu begrüßen. In einem kleinen Salon werden wir an einen der fünf Tische platziert. Die Wände sind mit gobelinartigen Stofftapeten im Stil des 17. Jahrhunderts verkleidet, wobei vier große Spiegel mit ihrem Patinaansatz den altertümlich ehrwürdigen Stil zusätzlich ergänzen. Allerdings versage ich mir, meine Blicke über den Bodenteppich gleiten zu lassen, weil dieser mit seinem modernen lila Paisleymuster meine innere Einstimmung auf die französische Klassik beeinträchtigen könnte. Zuerst wurde uns ein Glas Champagner offeriert, da ist es verständlich, daß ich um Wasser zu bitten habe. Ebenso kann ich nachvollziehen, daß ich nicht danach gefragt werde, welches Wasser ich zu trinken wünsche, denn die deutsche Mode mit einer gesonderten Karte für Wasser oder wenigsten zwei, drei Sorten zur Auswahl kann für in Wasserfragen ungeübte Gäste ziemlich anstrengend sein. Das eingeschenkte „Vittel“ war uns dann wohl bekannt. Die Capsule des Champagner wurde uns auf einem silbernen Tellerchen überreicht und auch der noch recht junge 2005 Chablis stilvoll dekantiert. Die Vielfalt des angebotenen Brotes war mit zwei Sorten doppelt so groß wie die des Wassers, bei der Butter blieb es bei einer ungesalzenen Sorte, davon aber reichlich und selbstverständlich auf Silber. Das erste Amuse bestand aus zwei Kleinigkeiten, die nicht erklärt wurden, was aber nicht weiter problematisch war, weil eine davon als Bestandteil meines Zwischengerichtes, des „ravioles de ricotta á la sauge“, wieder auftauchte. Eine leichte Zitronencreme in einem sehr dünnen krossen Teig ergab im Mund einen interessanten Akkord, der vom etwas kräftigeren Geschmack einer kleinen Sardellentarte abgelöst wurde. Ein gelungener Einstand! Auch das zweite Amuse blieb unerklärt, war jedoch leicht als Maronensüppchen auszumachen, dessen Bodensatz, ähnlich dem Depot alter Weine, sich zum Verbleib an seinem Entstehungsort anbot. Mein „Filet de saint-pierre á la „grenobloise““ bestand aus einem dünnen zur Trockenheit pochierten Stück Fisch, bedeckt von einer etwas dickerern Teigschicht, deren Ränder von gebräunt bis dunkel übergingen und zu dessen geschmacklichen Gesamteindruck auch einige halbierte größere Kapern an ihren Stengeln reichlich beitrugen. Die dazugehörige Senf-Petersiliencreme hatte ich mir extra reichen lassen, damit der Fisch nicht seinem Naturell entsprechend, darin zu schwimmen begann. Unaufgefordert erhielt ich in einem gesonderten Schälchen eine gute Portion unverfälscht gebratener Steinpilze, deren Resonanz zum Fisch ich unfähig war, richtig zu würdigen und deren Petersiliendekoration nett anzuschauen war, um sie sogleich zu entfernen, eben weil nur Deko! Ach ja, beinahe hätte ich das auf der Teigschicht aufgelegte mir bereits bekannte Ravioliröllchen vergessen. Das zweite Zwischengericht war eine geradezu klassisches „Fricassée de homard“, mit noch saftigen Hummerfleisch und zwei verschiedenen Soßen (cassé , deren zum einen mild nussige - und zum anderen kräftige Hummer- Note sich elegant ergänzten. Die reichlichen aufgelegten Maiskörner sowie die beträchtlichen Nocken von Kürbismus, waren auf der Karte – wie auch die Steinpilze - nicht als Bestandteil des Tellers angeführt und deshalb sicherlich ein Entgegenkommen des Patron an unseren Besuch. Zur ihrer inneren Sensorik, ihrer texturellen Ergänzung oder aromatisierenden Dekonstruktion fand ich als ungeübter Klassik-Genießer nicht die passenden sprachlichen Ausdrucksformen. Möglicherweise lag es auch an einer schieren Überforderung, denn bereits die Zwischengerichte hätten mit ihrem Umfang glatt als Hauptgericht durchgehen können.

Als erstes von zwei Hauptgerichten wurde uns die „Pigeonneau aux épices en cocotte lutée“ vorgeführt. Ein Kupfertopf war zwischen Topf und Deckel mit einer Teigschlange abgedichtet, darin lag die gare Taube, die der Kellner vor unseren Augen emsig glacierte, wobei er sorgsam darauf achtet, daß die helle Farbtönung der Haut der Taube auch gut erhalten blieb, denn wie oft hatten wir schon feststellen können, wie die Röstnoten einer knusprigen Haut ihrem zartrosa Innerem abträglich waren. Der offene Topf wanderte zurück in die Küche, wo die Taube nicht nur tranchiert sondern sich unter einer Wärmelampe auch noch einige Minuten ausruhen konnte, bis das zweite Hauptgericht, ein „Agneau de Lozère“ zum Servieren bereit war. Taube und Lamm waren von bester Produktqualität und leicht rosa gegart, so daß sich ihr spezifischer Geschmack entfalten konnte. Zudem zeigte sich jetzt zusätzlich wie vorteilhaft der Koch mit der Haut umgegangen war, denn über der Taubenbrust waren mehrere Streifen getrockneten, leicht gesüßten Rhabarber gelegt, welche perfekt als krosses Element durchgingen. Allerdings vermieden wir, das Fleisch mit den beigefügten Soßen zu vermischen, weil diejenige für die Taube mit ihrer intensiv süßlichen Prägung separat zu genießen war und die für das Lamm mit einer Schicht Olivenöl bedeckt war, was wir mit unserem unerfahrenen Geschmack der klassischen französischen Küche nicht richtig zu schätzen vermochten. Gesondert von der Taube lagen in einer Schale stark konfierte Quittenbällchen, über deren sensorischen Sinn wir bei Escoffier noch einmal nachlesen müssen.

Angenehm empfanden wir das völlige Fehlen von heutzutage überall breit eingesetzten Mikroelementen, vor allem aus der Fusions- und Molekularküche, weil wir damit der Anstrengung enthoben waren, diesen Mikroelementen etwas abzuschmecken.

Um uns die Zeit bis zum Dessert abzukürzen, erhielten wir ein Apfelsorbet, bei dem aus dem weißen Inneren eines Apfels ein angenehm hellgrünes grünes Sorbet geworden war, umrandet mit ähnlich grünen Pistazienkrümel. Das „Boule nacrée au café, sabayon mousseline „pur arabica““ war grandios. Eine hauchdünn silbern eingefärbte Zuckerkugel gefüllt mit luftiger Eiszabayone erinnerte optisch tatsächlich an klassische Patissier-Kunstwerke und war geschmacklich vollendet.

von Dr. Klaus Leciejewski