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Heller die Sterne über Deutschland leuchten

Am Anfang war Kartoffelsuppe und Schweinebraten. Zu einem exquisiten Mahl fuhren die Deutschen jahrzehntelang nach Frankreich, dem Sehnsuchtsparadies der Gourmets. Heute können sie ihre Reisekosten klein halten und das Ersparte direkt vor ihrer Haustür bei internationalen Trendsettern ausgeben. Das hat in seiner neuen Deutschlandausgabe der Restaurantführer „Michelin“ eindrucksvoll bestätigt. Seine Bewertungen der Spitzengastronomie mit ein, zwei oder drei Sternen lassen die Gourmets in die kulinarischen Tempel strömen oder diese veröden. Außerhalb der Gänsestopflebergrenzen wird kein anderes Land mit so vielen Sternen bedacht wie Deutschland. Neun deutsche Restaurants stehen mit drei Sternen ganz oben auf dem Gourmetolymp. Nur Frankreich beherbergt eine größere Anzahl, was international jedoch durchaus strittig ist. Auch die 23 deutschen Zweisternerestaurants sind international absolut Top. Etliche von Ihnen werden in den nächsten Jahren in den Olymp aufsteigen können. Kaum ein Ort in Deutschland, der weiter als ein oder zwei Autostunden von einem der 237 Sternerestaurants entfernt liegt. In den Feinschmeckergazetten streiten sich die Hohepriester der deutschen Gastrokritik, ob dieser Aufschwung die Einstellung zum Essen in Deutschland verändert hat oder ob erst eine veränderte Einstellung der Deutschen ihn ermöglichte. Unabhängig von der Beantwortung dieser tiefsinnigen Frage ist Deutschland nicht mehr ein Land der Suppenkasper sondern Eldorado für die Genießer einer neuen Kunstgattung. Ursprünglich waren die Geschäftsessen der Manager eine traditionelle Stütze der Spitzengastronomie. Das Krisenjahr 2008 brachte dabei einen schmerzhaften Einbruch. Geschäftsbesprechungen mußten zu Keksen und Mineralwasser verlegt werden. Das hat den Aufschwung des Gourmetlandes Deutschland nicht behindert. Wie zu Kunstausstellungen pilgern inzwischen die Gourmets von Sterne- zu Sternerestaurants. Dort wird nicht einfach darauf los gegessen sondern die Menüs werden als ein Kunsterlebnis zelebriert. Das entspricht genau den Vorstellungen der zumeist betagten Gäste.

Auch in der internationalen Stellung der deutschen Top-Köche hat sich Gravierendendes getan. Über zehn Jahre war Harald Wohlfahrt mit der „Schwarzwaldstube“ aus dem abgelegenen Baiersbronn das non plus ultra der deutschen Spitzengastronomie. Er konnte unter seinem Mäzen Heiner Finkbeiner aufblühen, dem Besitzer des Hotels „Traube Tonbach“. Je mehr seine drei Sterne leuchteten, desto mehr Gäste strömten auch in das Hotel, wenngleich diese ob der langfristigen Belegung des kleinen Wohlfahrtschen Restaurants gar nicht alle in den Genuß seiner Kochkunst kamen. Es reichte schon, zu Haus von dem hellen Schein der Sterne zu berichten, unter denen man dort gestanden hatte. So entwickelte sich eine für beide Seiten wirtschaftlich ungemein profitable Symbiose. International blieb er jedoch eher in der zweiten Reihe. Das Erfolgsrezept von Finkbeiner hat der Kölner Hotelier Althoff perfektioniert und damit auch einen internationalen Durchbruch erreicht. In jedem seiner sieben Nobelherbergen hat er einem Spitzenkoch individuellen Auslauf ermöglicht. Es begann mit Dieter Müller vom Schloßhotel Lerbach und bis heute hat er es in seinen Hotels auf international unerreichte 11Sterne gebracht. Über allen anderen strahlt jedoch vor allem der Stern eines Kochs. Joachim Wissler hat in den letzten zwei Jahren in seinem Restaurant „Vendôme“ etwas geleistet, was bisher der deutschen Kochkunst versagt geblieben war. Er hat sich in die absolute internationale Spitzengruppe gekocht. Sogar die bisher im internationalen Marketing als unerreicht geltende spanische Gastronomie mußte ihm Referenz zollen. Kürzlich wurde Wissler auf dem Kongress „Lo Mejor de la Gastronomia“ der internationale Preis verliehen, den zuvor schon die französischen Kochlegenden Alain Ducasse und Joel Robuchon erhalten hatten. Der einflußreichste Koch des letzten Jahrzehnts, der Spanier Ferrán Adrià, vor drei Jahren auch selber Preisträger, war extra nach Alicante gekommen um seinen Künstlerkollegen am Herd den Preis zu überreichen. Wissler hält am treu deutschen Schweinebraten fest, als Mutation: „Juvenil: Milchferkel: Gewürzlinsen: Steinpilze“. Ganz im Sinne dieser Entwicklung ist auch sein neuestes Buch, kein Kochbuch, sondern ein Buch für die Sinne. Deshalb ist es auch nicht bei einem der traditionellen Kochbuchverlage erschienen, sondern im Eigenverlag. Allerdings liefert Wissler seine Rezepte trotzdem mit, als online Aufruf und stetig weiter entwickelt.

Wissler gilt als einer der prägenden Persönlichkeiten für den Trend der sogenannten „Neuen Deutschen Schule“, bei der vergessene regionale Produkte und Gerichte eine Renaissance erleben. Seine Ausbildung absolvierte der passionierte Koch nicht in der Schwarzwaldstube Harald Wohlfahrts, aber in der Küche der "Traube Tonbach" in Baiersbronn. Nach Stationen im Badischen erhielt er als Küchenchef des Gourmetrestaurants Marcobrunn im Schloss Reinhartshausen im Rheingau 1995 seinen ersten Michelin-Stern. Im Jahr 2000 wechselte Wissler dann ins Gourmetrestaurant Vendôme des Grandhotel Schloss Bensberg, wo er inzwischen auf drei Michelin-Sterne, 19,5 Gault Millau Punkte und fünf Feinschmecker F’s verweisen kann und auf Platz 22 der „San Pellegrino World’s 50 Best Restaurants“ –Liste ganz weit oben rangiert.

von Dr. Klaus Leciejewski