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Auf Weinerkundung in der Schweiz

In der Altstadt von Zürich

„Ist Schweizer Wein überhaupt noch bezahlbar?“ Diese Frage treibt manchen Weinfreund um, der sich über die Jahre und Jahrzehnte an die guten süffig-fruchtig-frischen Chasselas aus der Westschweiz und Fendants aus dem Wallis und andere Weine aus den Schweizer Weinbauregionen gewöhnt hat.

Grand Tasting

© Hans-Peter Siffert, weinweltfoto.ch

Qualitätswein aus der Schweiz

Der Weinbau ist in vielen Regionen der Schweiz zu Hause, im Wallis, in den Kantonen Waadt, Neuenburg, Genf und im Drei-Seen-Land, den Kantonen Aargau, Zürich, Schaffhausen und Graubünden und im Tessin. Nach wie vor und begünstigt durch den hohen Frankenkurs werden die Schweizer Weine meist in der Schweiz getrunken. Nur ein winziger Anteil von ein bis zwei Prozent geht in den Export.

280 Millionen Liter Wein trinken die gut 8 Millionen Schweizer jährlich, fast eine Flasche pro Woche und Mann bzw. Frau. Kinder nicht eingerechnet. Deutlich mehr als Deutsche und Österreicher, aber weniger als Italiener und Franzosen. Der größte Teil davon ist Rotwein.

Da das Land selbst gerade mal 99 Millionen Liter Wein produziert, ist der Weinimport für die Schweizer notwendig. Meist sind es Weine aus Italien und den anderen Weinbauländern. Mehr als zwei von drei von den Schweizern getrunkene Flaschen stammen aus dem Ausland. Österreichische Weine fand man dort allerdings bis Anfang dieses Jahrtausends genauso selten wie deutschen Wein. Damals wurden 135.000 Flaschen österreichischen und 322.000 Flaschen deutschen Wein importiert. Das hat sich zwischenzeitlich geändert. Die Importe für deutsche und österreichische Weine vervielfachten sich seitdem. Für Österreich sicherlich durch den unglaublichen Erfolg von Mémoire & Friends, auch die wir gleich zu sprechen kommen, für Deutschland durch die Aktivitäten des Deutschen Wein Instituts.

Susanne Scholl und Andreas Keller mit ihrem Team

© Hans-Peter Siffert, weinweltfoto.ch

Schweizer Qualitätsweine Vins Nobles

Durch die meist kleinen und schwierig zu bearbeitende steile Weinberge, sind die Preise für Schweizer Weine hoch. Nachdem 1990 kontrollierte Appellationen der Produktion einen gesetzlichen Rahmen gaben, hat sich der frühere Wirrwarr gelegt und die Qualität der Schweizer Weine stark verbessert. Meist werden die Schweizer Weine aber nach wie vor leicht ausgebaut und jung getrunken, was schade ist, wenn man einige selektierte ältere Weine verkostet.

Das sagte sich auch der Weinjournalist Andreas Keller, als er 2002 zusammen mit Winzern und Kollegen die Vereinigung Mémoires des Vins Suisse gründete. Diese Erinnerung der Schweizer Weine sollte endlich deren Potenzial aufzeigen.

Keller orientierte man sich dabei an Frankreich, wo man Wein zum Vergnügen (für alle Tage) und edlen Wein unterscheidet. Wenn ein Wein nach zehn Jahren nicht nur trinkbar ist, sondern noch Spaß macht, gehört er in diese Kategorie der edlen Weine. Da Winzer dazu neigen ihre gesamte Produktion zu verkaufen, forderte Keller von den teilnehmenden Winzern 60 Flaschen, meist ihrer Topweine, die eingeschlossen und erst nach zehn Jahren verkostet wurden. Als man vor einigen Jahren die ersten Weine aus dieser Schatzkammer verkostete, konnten viele davon als Vin Nobles überzeugen und zur internationalen Aufmerksamkeit für Schweizer Weine beitragen.

Marie Théres Chappaz Petite Arvine Grain Nobles

(c) Michael Ritter

Mémoire & Friends Schaulauf Schweizer Weine

Eine erstklassige Möglichkeit die besten Schweizer Weine zu verkosten und die Winzer kennenzulernen, ist die in diesem Jahr zum achten Mal stattfindende Ausgabe von Mémoire & Friends im Zürcher Kongresshaus. Andreas Keller und Susanne Scholl hatten zusammen mit ihrem Team vor 2008 erstmals 72 Schweizer und 160 österreichische Spitzenwinzer zu einem Vergleich Österreich: Schweiz ins Zürcher Kongresshaus eingeladen. Anlass war die damals gemeinsam ausgetragene Fußball-Europameisterschaft. Viele der Schweizer Winzer waren dabei Mitglieder des bereits erwähnten Mémoires des Suisse Vins, die dort vor Jahren ihre Weine eingelagert hatten. Highlight war deshalb auch die Verleihung des Vintage Award für zehn Jahre gereifte Weine. Neben 30 prämierten Weinen von Mémoire-Mitgliedern stammten 12 von Nichtmitgliedern. Den stärksten Andrang gab es dabei beim Petite Arvine Grain Noble Domaine de Claives 2006 von Marie Thérèse Chappaz aus dem Wallis. Kein anderer Wein erhielt eine höhere Bewertung (19/20) und selbst Winzer und Weinjournalisten verweigerten die Nutzung des Crachoir.

Hatte Mémoire & Friends anfangs nur den Panoramasaal belegt, so sorgte die stets wachsende Zahl von Mémoire-Mitgliedern und deren Freunden, dass bald auch die anderen Säle hinzugebucht werden mussten. Inzwischen ist das Swiss Wine Grand Tasting, bei dem rund 180 Ausstellern aus allen Weinbauregionen der Schweiz und ein paar Auslandsschweizer ihre Weine präsentieren, mit rund 1.200 Besuchern aus dem In- und Ausland die größte Ausstellung Schweizer Weine.

Schade, dass die Zeit viel zu kurz war, aber der Besuch der Tessiner Winzer war von zahlreichen Entdeckungen geprägt. Zum Beispiel der erstklassige Balin 2014 von der Cantina Kopp von der Crone Visini aus Merlot und Arinarnoa. Es handelt sich dabei um eine Kreuzung aus Merlot und Petit Verdot. Der baskische Name bedeutet so viel wie „leichter Wein“. Nun ja, leicht ist der ausgesprochen komplexe Wein keinesfalls, der ab November lieferbar ist. Auch der unglaublich komplexe und vollmundige Merlot Vinattieri 2013 von Zaninis Vinattierei Ticinesi gefiel mir ausgezeichnet, spielt allerdings mit knapp 140 Franken (128 Euro) in einer Preisliga, die sich auch nur wenige Schweizer Weinfreunde erlauben können. Zanini verwendet dafür manchmal die Machart beim Amarone seiner Kollegen aus dem Veneto. Doch auch die preiswerteren Merlots des Weinguts können sich international durchaus sehen lassen.

Doch schon jetzt merkte man rund ums Kongresshaus emsige Bauaktivitäten. Das Gebäude ist in die Jahre gekommen und passt nicht mehr in die hippe Bankenmetropole. Die notwendige Sanierung wird sich bis 2020 hinziehen und ein neues Domizil für das Swiss Wine Grand Tasting ist noch nicht gefunden. Die Macher suchen zwar nach einem passenden großen Saal, doch solche Säle sind im Zentrum der Stadt rar. Ob man die Veranstaltung künftig im kleineren Rahmen stattfinden lässt , in eine andere Schweizer Stadt ausweicht oder pausiert, ist noch offen.

Grand Tasting

© Hans-Peter Siffert, weinweltfoto.ch

Alter Wein beim Swiss Wine Vintage Award

Zu den regelmäßigen Höhepunkten der Veranstaltung gehört wie gesagt die Verleihung des Swiss Wine Vintage Award, den in diesem Jahr 42 von 55 eingereichten weiße, rote und edelsüße Weine des Jahrgangs 2006 erhielten. Dafür mussten die Weine sich in einer kritischen Blindverkostung bewähren und dabei mindestens 17 von 20 Punkten erziele. Nicht nur der edelsüße von Marie Thérèse Chappaz schaffte die Zehnjahreshürde ohne Probleme.

Dabei bewiesen einmal mehr Chasselas wie der Cure d‘Attalens Chardonne Grand Cru 2006 von Obrist in Vevey oder der Aigle Grand Cru Clos du Crosex Grillé Cuvée des Immortels Réserve 2006 vonTerroir du Crosec Grillé , dass man sie nicht aus Masse trimmen und schnell wegtrinken muss. Mit den Jahren gewinnen sie neue Aromen hinzu und präsentieren sich durch den Reifeprozess komplex und tiefgründig. Auch die reifen Pinot Noirs, wie Georg Fromms Malanser Pinot Noir Barrique 2006 oder der Churer Blauburgunder Gian-Battista 2006 des Weinurgesteins Gian-Battista von Tscharner lohnten den Besuch. „Meine Weine sind so dunkel, weil ich eine schwarze Seele habe“, sagt der Schlossherr von Reichenau, dort wo in Graubünden Vorder- und Hinterrhein zusammenkommen.

Aus dem Tessin gefielen mir einige Merlots, wie der Riflessi d‘Epoca 2006 von Brivio oder der Sassi Grossi 2006 von Gialdi und der schon früher erwähnte Balin, diesmal des Jahrgangs 2006 von Koop von der Croine Visini.

Dass auch autochthone Rebsorten ein großes Potenzial aufweisen, bewies dabei neben dem Petite Arvine auch der großartige Amigne Balavaud Grand Cru 2006 von Jean-René Germanier aus Vétroz auch der Cornalin, ein autochthoner Rotwein aus dem Wallis mit dem Cornalin 2006 von Ann-Catherine und Denies Mercier aus Sierre. Nicht in der Auswahl vertreten war der mit dem Cornalin verwandte Humagne Rouge, vor Jahrzehnten eine meiner ersten Weinentdeckungen im Wallis, der auch das Synonym Cornalin d’Aoste trägt.

Summa summarum zeigte aber die Auswahl, dass es sich unbedingt lohnt in der Schweiz auf Weinerkundung zu gehen. Uns sehr nah und doch auch Weinfreunden aus der Deutschschweiz recht wenig vertraut sind die dortigen Weine, ein wahres Patchwork von kleinen und kleinsten Weininseln. Die Kollegen vom Schweizer Weinmagazin Vinum haben sich damit beschäftigt und wollen die Winzer in den nächsten Monaten einer kleinen Serie vorstellen. Hier ein kleiner Vorgeschmack. Es ist ein buntes Gemisch an Weinen, die es wie der Meilener Räuschling Seehalden 2006 vom Schwarzenbach Weinbau in Meilen, etliche sehr gute Pinot Noirs oder der Oberengstringer Malbec Cabernet Cubin 2006 von Zweifel Weine aus dem Zürcher Limmattal in diese Topliga schafften. Warum auch nicht, der Anbau der Top-Malbecs in Argentinien erfolgt im Valle de Uco in Höhen von mehr als 1.000 Metern.

Weinberge im Wallis

I, Vheritier [GFDL (http://www.gnu.org/copyleft/fdl.html), CC-BY-SA-3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/) or CC BY-SA 2.5-2.0-1.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.5-2.0-1.0)], via Wikimedia Commons

Die Heimat autochthoner Reben

Viele deutsche Weinfreunde reisen speziell wegen der autochthonen Spezialitäten in die Schweiz, wie zum Beispiel den im Wallis auf sonnigen und windgeschützten Terrassen angebauten Petite Arvine mit langem Vegetationszyklus und sehr hohem Mostgewicht. Die Traube liefert hellgelben Wein voller Finesse mit einer charakteristischen Salznote. Meist trocken ausgebaut sind für meinen Geschmack die aus lange gereiften, fast trockenen Beeren gewonnen Dessertweine ein Gedicht.

Marie Thérèse Chappaz und die Grain Nobles

Trotz ihrer Erdverbundenheit fast schon eine Ikone des Walliser Weinbaus ist Marie Thérèse Chappaz. Ihre edelsüße Sélection de Grain Nobles aus Petite Arvine hat Weltruhm, doch ist es fast unmöglich sie zu erwerben. Wenn es dann doch einmal gelingt, stellt man fest, dass in diesem Segment die Schweizer Preise verglichen zu führenden TBAs aus Deutschland und Frankreich ganz vernünftig sind.

1988 hatte sie ihr Weingut in Fully von ihrem Großonkel übernommen, wo sie biodynamisch auf weniger als 15 Hektar neben Petite Arvine auch den spannenden Humagne Rouge, Syrah, Chasselas, Marsanne oder Gamay anbaut. Leider schaffen ihre Weine kaum den Sprung über den imaginären Schweizer Grenzzaun, denn das Zusammenspiel vom hohem Wechselkurs, dem hohen Preisniveau der Schweiz, der kleinen Produktionsmenge und dem Aufwand beim Import aus einem Nicht-EU-Staat sind dem Genuss bei uns abträglich.

Auf der Grain Nobles-Verkostung der Vinea im Wallis hatte ich vor Jahren erstmals die Chance, einen gereiften Grain Noble von der Petite Arvine zu verkosten. Wenn der gestrenge Serailwächter Osmin in Mozarts „Die Entführung aus dem Serail“ verklärt ausruft „Das heiß ich Göttertrank!“ und Bacchus hochleben lässt, trifft das auch ganz gut meine Begeisterung. Doch wie gesagt - auch wer weder Kosten noch Mühe scheut, tut sich schwer, eine ihrer Flaschen zu ergattern und deshalb nutzen Kenner gerne die Verleihung des Vintage Awards, um daran zu partizipieren.

Weinberge bei Visperterminen

By Wandervogel (Own work) [GFDL (http://www.gnu.org/copyleft/fdl.html) or CC BY-SA 3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0)], via Wikimedia Commons

Hohe Weinberge und besondere Weine

Dabei hat das Wallis einen der höchsten Weinberge Europas. Das oberhalb von Visp gelegene Visperterminen rühmt sich selbst schon zu meinem ersten Besuch vor fast vier Jahrzehnten damit, Europas höchstgelegenen Weinberge zu haben. Bis auf eine Höhe von 1.150 Metern ziehen sich dort die Reben, höher als im restlichen Wallis. Der spannendste Wein dort ist sicherlich der autochthone Heida, der teils auf ungepfropften über 100 Jahre alten wurzelechten Rebstöcken gedeiht. Der auch als Païen bekannte Wein wächst seit dem Mittelalter im Oberwallis und ist seit 2010 auch im Mémoire des Vins Suisses anzutreffen. Einzigartig und mystisch, mit intensiven Aromen und einem ewig langem Abgang ist zum Beispiel der Heida Veritas der lokalen St. Jodern Kellerei – ein Wein zum Meditieren.

Die auch fürs Wallis ungewöhnliche Höhe machen die riesigen Steinflächen der Mauern des knochentrockenen Hangs des nach Zermatt und Saas-Fee führenden Vispertals möglich, die bis in den Herbst hinein wie eine Wärmflasche wirken.

Zwar hegen die Walliser noch immer ihren Mythos mit der größten Höhe, doch bei genauem Hinsehen findet man schon im benachbarten Aostatal höhere Weinberge. Auf Zypern und Teneriffa ohnehin. Doch selbst das sind fast Flachlandlagen verglichen mit den Weinbergen von Colomé im argentinischen Salta. Die liegen mit 3.110 Metern auf der Höhe manches Alpengipfels. Deren Besitzer Donald Hess ist – wie könnte es anders sein – natürlich ein Schweizer.

© Michael Ritter



Weinberg im Wallis

By Pelerin (Own work) [CC BY-SA 3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0)], via Wikimedia Commons

Die Wein-Terrassen im Wallis

Ich finde ein Besuch im Wallis lohnt immer. Mit seinen Rebanlagen, die teilweise nur handtuchgroß durch Bruchsteinmauern gestützt sind, auf steilen Terrassen stehen, während weiter unten im recht schmalen Tal der Rhône sanft hügelige Weinberge den Fluss auf seinem Weg zum Genfer See begleiten, ist das Tal ein Sehnsuchtsziel.

Die Bewirtschaftung ist mühsam und erinnert an den Moselweinbau in Deutschland. Die Trauben von Marie Thérèse Chappaz gedeihen dort in Höhen zwischen 400 und 800 Metern. Ihre dort entstehenden Weine sind kraftvoll und komplex und voll klarer Frucht.

(c) Michael Ritter